Reisereportage: »In a Mango State of Mind«
Tropenauszeit mit Tiefgang:
Im Yoga gibt es diese einbeinige Stehhaltung, den Baum. Dabei ist es hilfreich, sich in der Ferne einen Fixpunkt zu suchen, um nicht umzukippen. Mein Blick bleibt an ein paar dunklen Flecken im Lotosblütenfeld des Tropensees hängen. Beim Scharfstellen erkenne ich darin Wasserbüffel und denke: Geiler wird’s nicht. Erstens hat dieses wunderschöne Yoga-Loft, in dem ich heute turne, ein riesiges Panoramafenster, zweitens ist der Unterricht gut, und drittens muss ich zweieinhalb Kilos weniger in die Umkehrhaltung wuchten. Und das, obwohl ich mich hier drei Mal am Tag mit Sachen satt esse, die mir vorzüglich schmecken. Bei der Schlussentspannung beglückwünsche ich mich wiederholt zu meiner Entscheidung, nicht das All-inclusive-Angebot direkt an der belebten Küste Sri Lankas gebucht zu haben, sondern Ayurveda in idyllischer Abgeschiedenheit. Im entscheidenden Moment hat meine innere Maus spontan auf Tiefenentspannung geklickt – und nicht auf Surfkurs mit Beach Club und Strawberry Daiquiris. Und hier bin ich jetzt: am Ufer des Yoda Sees in Tissamaharama, einem Vogel- und Schmetterlingsparadies mit Büffelbadewanne. Das Thaulle Resort ist schön weit weg vom Getöse der Touri-Hotspots. Und zum Strand sind es mit dem Tuk-Tuk nur ein paar Minuten.
Darauf ein dreifaches Om
Dass ich mal einen Gang runterschalten könne, rät mir am Tag meiner Ankunft auch der Chefarzt des Ayurveda-Zentrums: »Too much thinking and no switch-off button«. Recht hat er, der liebenswürdig verschmitzte Dr. Upul. Beim Auftaktgespräch darf ich ihm nicht sagen, was mir fehlt, er will es lieber selbst herausfinden. Das tut er, indem er meine Zunge, meine Augen, meine Haut betrachtet und meinen Puls diagnostiziert. Dazu hält er lange mit geschlossenen Augen mein Handgelenk und sagt mir meine Leiden auf den Kopf zu: Nacken- und Schulterschmerzen, Last mit den Atemwegen und der Verdauung, dies und das. Ich hatte ja keine Ahnung, wie beredt mein Puls ist! Dr. Upul verrät mir, es habe ein paar Jahre gedauert, bis er die vielen Nebengeräusche im Blutstrom wahrnehmen konnte. Überraschenderweise stimmt alles: Exzessive Bildschirmarbeit und nächtliches Zähneknirschen bereiten mir Kopfweh. Allergisches Asthma und Verstopfung kenne ich so lange wie die Sesamstraße. Der Arzt sagt, dass ich ein Vata-Kapha-Typ mit stressbedingten »Dosha«-Störungen bin und empfiehlt mir, die Zeit hier für eine zweiwöchige »Panchakarma«-Kur zu nutzen: eine ayurvedische Entgiftung mit Massagen und medizinischen Behandlungen. Gesagt, getan. Für zuhause gibt er mir einen auf meinen Leib geschneiderten Speiseplan mit. Darauf steht, von welchen Obst-, Gemüse- oder Fischsorten ich mehr essen und dass ich Zucker, Fett, Milch, Kohlenhydrate und Alkohol möglichst reduzieren sollte. Und viel mehr Bewegung. Ich weiß, ich weiß: Das Leben als digitaler Bohemien ruiniert einem die Figur. Hier in Thaulle müsse ich mich um nichts kümmern. Er werde in der Küche Bescheid geben; dort wird das Team mir mein Essen speziell zubereiten und meine Medizin herrichten. Und entlässt mich in den Tropengarten.
Vata-Kapha-Typ mit stressbedingten Dosha-Störungen
Den ersten Nachmittag verbringe ich am Pool, das Kopfkino noch voller wunderbarer Bilder meiner Rundreise, die mich im Uhrzeigersinn um die Insel herumgeführt hat: von Colombo nach Kandy, hinein in die Berge, hinunter in den Süden. Bei der fröhlich-rumpeligen Zugfahrt durch die sri-lankischen Teeplantagen und Reisfelder staunte ich ins große Grün hinein, sah die abwechslungsreiche Landschaft und ihre Bewohner vorbeiziehen und aß die Chili-Teigtaschen, die mir ein Händler durchs Fenster gereicht hatte. Endstation: Ella. Das liegt nur etwa zwei Stunden vom Thaulle Resort entfernt. Von hier aus kann man eine Tagestour in die umgekehrte Richtung durchs Hochland machen, was ich uneingeschränkt empfehle. Auch, weil man dort feinsten Ceylon-Tee direkt ab Erzeuger kaufen kann. Und dann wird es Zeit für die erste Massage: In den traditionell bemalten Behandlungskabinen werden meine Schultern mit Kampfer- oder Eukalyptusöl kräftig bearbeitet. Dann kommen warme Tücher obendrauf: eine heiß-kalte Offenbarung, die mir wohlige Schauer über den Rücken jagt. Wie konnte ich es zu diesen Dauerschmerzen kommen lassen? Wieso verbringen wir überhaupt unser Leben vor einem rechteckigen Kasten? Ich werde etwas ändern und öfter mal mein inneres Faultier zu seinem Recht kommen lassen, jawohl! Wahrscheinlich hat der Mann mit den heilenden Händen nicht nur meine Verspannungen bearbeitet, sondern gleich auch meine Chakren geknuddelt. Tage später setzt die vierhändige Massage übrigens noch mal eine Gänsehaut obendrauf.
Kulinarische Höhenflüge oder: Im siebten Curryhimmel
Gegen meinen sonstigen Rhythmus bin ich immer schon topfit, bevor es richtig hell ist und mache bereitwillig Frühsport: im Yoga-Loft oder im kleinen Fitnessraum. Außerdem trinke ich. Viel warmes Wasser. Überall bin ich umgeben von Thermoskannen, deren Inhalt mich literweise durchspült. Im Restaurant gibt es meist mehr Bio-Food als ich schaffe, obwohl ich auf Schonkost gesetzt wurde. Morgens reichen mir reizende Jungs mit perlweißen Zähnen und orangefarbenen Kaftans Obstplatten mit Mango, Papaya, Banane, Maracuja, Sternfrucht oder Ananas. Mittags und abends servieren sie Schälchen mit singhalesischen Fisch- und Gemüsecurrys: intensiv gewürzt und zum Reinknien köstlich. Manche Varianten sind chili-hot, manche kokos-mild, manche mit Wurzeln oder Schoten gespickt, die mir neu sind. Dazu kommt »Roter Reis«, eine nussig schmeckende Vollkornsorte aus der Region. Oft folgt sogar eine Süßspeise: Hirse, Kokos, Honig. Einmal pro Woche veranstaltet der Doktor mit seinem Team einen Kochkurs: Bei uns gibt’s Kürbis und Linsen-Dhal, beides unkompliziert nachzumachen, dazu Ernährungs- und Gesundheitstipps. Zu jeder Mahlzeit bekomme ich eine Arzneibox aus Dr. Upuls Hausapotheke: naturheilkundliche Pillen und schnapsglasgroße Zaubertränke. Einer schmeckt sogar ein bisschen wie Averna, andere sind bitter und nicht so angenehm zu schlucken. Aber Augen zu und durch; gemeinsames Schütteln und Ablachen geht wunderbar mit meinen ayurvedischen Buddies aus Zürich, Hamburg und Berlin. Die Tischgespräche sind anders als zuhause. Meist landen wir sofort bei existenziellen Dingen: Wie oft man nachts müssen muss, wer wie schläft, wie der Öl-Einlauf war, was danach passierte. Wir haben noch andere Themen, nur eines ist uns kackegal: die Arbeit.
Tränenströme, Elefantenherden und der Sound des Urwalds
Am Samstag radele ich mit dem Leihfahrrad halb um den See und tauche in den Bauernmarkt ein, wo ich mich mit Gewürzen und Kräutern für daheim eindecke. Ein Obst-Gemüse-Farbenmeer mitten im echten asiatischen Landleben. Ich fahre einhändig, eine Hand muss zum Zurückwinken frei bleiben. Mir kommt die muffelige Ignoranz und Aggressivität auf unseren Straßen in den Sinn. Diese Ferien sind anders als alle bisherigen zuvor, denn das Pancha-kurieren ist auch emotional intensiv. Später, allein in der Hängematte unter Kokospalmen, mit öligen Haaren vom Stirnguss, da kommen steinalte Verletzungen hoch und die Tränchen kullern in Strömen. Wird bei dem ganzen Ausleiten und Entgiften etwa auch Kummer mit herausgespült? Beim Abendessen frage ich meine ayurvedischen Mitstreiter. Denen geht’s nicht anders. Wir diskutieren, wie blockiert wir sind, an welchen unnötigen Dingen wir festhalten und was wir glauben, verbergen zu müssen. Wir führen ein schönes Gespräch mit Tiefgang, obwohl wir so wenig voneinander wissen. Ich merke, dass ich hier immer weicher werde und nehme mir vor, Angestautes bewusst loszulassen. Was gegen den Blues hilft? Elefantenbabys! Die frühmorgendliche Jeep-Fahrt in den Sonnenaufgang und durch den Udawalawe-Nationalpark ist ein beglückendes Erlebnis. 700 wilde Elefanten leben hier – und wir sehen Dutzende. Dazu Rehe, Wildschweine und Krokodile. Herr Pfau ruft Frau Pfau, die Affenbande kichert, großes Vogelkonzert, und das Baby trötet: ein bezaubernder Tropensound, der noch lange in mir nachhallt.
Buddhistischer Blumenrausch mit Lichtermeer in Kataragama
Bei den Überlandfahrten stoppen wir an traditionellen Töpfereien, Ziegelbrennereien, meterhohen Buddha-Statuen, ehrwürdigen Tempeln und Dagoben. Einige von ihnen bergen Schätze aus uralten Königreichen, einige thronen malerisch überm schäumenden Meer. Oder über dem Urwald, wie der 2.200 Jahre alte Felsentempel Sithulpawwa. Einmal, in der Dämmerung, fahren wir nach Kataragama, einem Wallfahrtsort in der Nähe. An diesem heiligen Ort ist nicht nur Hingabe allgegenwärtig, sondern auch Toleranz. Denn durch die von Blumenhändlern und Schmuckverkäufern gesäumte Gasse zur Dagobe strömen neben Buddhisten auch Muslime, Hindus oder Christen. Die Feierlichkeit, mit der Hunderte hier ihre Opferblumen auf die Altäre häufen, die Gläubigen mit Obstschalen auf den Armen und das Lichtermeer im Tempel: All das rührt und beflügelt mich. Auch ich bringe Buddha Blümchen und bekomme einen Kreidepunkt auf meine Stirn gemalt. Meine regelmäßigen Spaziergänge am menschenleeren Kirinda Beach mache ich zu Übungen in Achtsamkeit. In der salzigen Brandung nehme ich mir Zeit fürs Atmen und Muschelsammeln. »In Thaulle haben wir Glück mit unserer etwas zurückversetzten Lage«, sagt Dr. Upul. »Direkt am Ozean würden unsere Heilpflanzen nicht so gut wachsen.« Gut 70 Prozent seiner Medizin ernte er frisch aus dem chemiefreien Garten. Als er das sagt, denke ich: Auch ich bin hier gewachsen. Und die Daiquiris? Hab ich ganz vergessen.
Reportage: Lilli Leimer; rund 9.600 Zeichen mit Leerzeichen
Abdruck honorarfrei; zwei Belege erbeten